Ich will so bleiben, wie ich bin*

Die Folgen sind gravierend und weder zu leugnen noch zu ignorieren: Das Laufen klappt nicht mehr wirklich, der linke Arm macht, was er will und nicht was er soll. Unbestreitbar: Der Unfall hat mich verändert. Doch warum sollte ich, trotz Rollstuhl, nicht so bleiben wie ich bin – oder soll ich sagen, wie ich war? Nämlich fröhlich, neugierig und optimistisch.

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Mit Auto und Rolli unterwegs zu neuen Abenteuern

Nein, ein Unfall gehörte nun wahrlich nicht zu den Dingen, die ich mir für meinen Lebensweg ausgesucht hätte. Doch er kam, plötzlich und unerwartet, wie man so sagt. Und mit einem Mal stand ich da, oder besser, saß da, nämlich im Rollstuhl.
Ich war achtzehn und wollte gerade so richtig loslegen, das Leben erkunden. Und just in diesem Augenblick wurde ich durch einen Autounfall ausgebremst. Ja, schade, dumm gelaufen. Denn eigentlich lag sie vor mir, die Spielwiese des Erwachsenendaseins, die es zu erkunden galt. Stattdessen stand jetzt der Rollstuhl da, der zu bewältigen war.

Schnell lernt man die Grenzen
einer Rollstuhlfahrerin kennen

Es sollte Jahre dauern, bis ich sie überwunden hatte und schnell war klar, es lässt sich nur begrenzt etwas ändern und noch immer muss ich täglich daran arbeiten. Dabei sind die Einschränkungen, die von der Behinderung selbst ausgehen, noch das geringste Übel. Denn einerseits ist nichts daran zu rütteln und andererseits kann mit Hilfe und Unterstützung unglaublich viel erreicht werden. So ist es zwar ganz schön nervig, wenn man eine gefühlte Ewigkeit auf die Reparatur seines Elektrorollstuhls warten muss, doch ich möchte ihn auf keinen Fall mehr missen.
An dem Tag, als ich meinen ersten E-Rolli bekam, immerhin zwanzig Jahre nach meinem Unfall, wurde mir ein Stück Unabhängigkeit und Normalität gleich mitgeliefert. Bis dahin war ich auf jemanden angewiesen, der meinen Rollstuhl schob. Es war ein unglaubliches Gefühl, mein erster Stadtbummel ganz allein. Nur ich und mein E-Rolli. Es war aufregend, es war ein Abenteuer erster Klasse, wie ich es kaum zuvor erlebt hatte. Was brauchte ich eine Reise zum Mount Everest oder zu den Galapagos Inseln, wo ich doch hier meine Stadt hatte, die es für mich und meine Fähigkeiten zu entdecken galt.

Bitte keine gut gemeinten Ratschläge

Ich habe Glück, dass meine Eltern, die mir auch heute noch zur Seite stehen, aber auch mein Mann, mein Bruder und selbst meine Freunde mich immer in meiner Neugier, die Welt – trotz oder gerade wegen meiner Behinderung – zu erkunden, unterstützen. Richtig dankbar bin ich ihnen, dass sie mir nicht mit erdrückender Hilfe oder ständigen Warnhinweisen, mir meine Freude am Ausprobieren vergrault haben. Das hätte nichts anderes als Einschränkungen bedeutet. Es ist schon aufreibend genug, wenn man für Alles und Jedes endlos lange braucht. Gut gemeinte Ratschläge wie „Mach langsam“ oder „Sei vorsichtig“ kommen da gar nicht gut an, wobei das noch die harmloseste Variante ist.

Die Geister, die man rief

Richtig gemein sind jedoch die Grenzen, die man sich selber setzt. Mit ihnen verhält es sich ähnlich, wie mit den Geistern, die man rief…
Ihren Anfang nehmen die Einschränkungen zumeist mit einer kleinen Peinlichkeit, die sich quasi per Schneeballeffekt zu einer Totallähmung ausweitet.
Doch um dagegen anzugehen, gilt es erst einmal die Frage zu klären: Was ist denn eigentlich peinlich?
So sollte es einer Rollstuhlfahrerin, wie allen anderen auch, durchaus peinlich sein, wenn sie zu einer Verabredung oder zu einer Veranstaltung zu spät kommt, vor allem, wenn wohlmöglich noch Stühle gerückt werden müssen, damit der Platz erreicht werden kann. Wenn alle auf eine Person warten müssen, ist das mehr als unhöflich, denn es muss nicht sein. Schließlich kann und muss man sein behindertenbedingtes Mehr an Zeit einplanen, genauso wie andere den Weg zur Straßenbahn einkalkulieren müssen.

Die inneren Barrieren…

Keineswegs peinlich sollte es einem jedoch sein, jemanden um Hilfe zu bitten, wenn man etwas nicht alleine hinbekommt. Ich lasse mir gerne mal helfen, stehen die Kosmetika doch oft genauso wenig in meiner Griffhöhe, wie sich Türen von selbst öffnen. Bisher habe ich in meiner gesamten Karriere als Rollstuhlfahrerin, wenn ich es mir recht überlege, keine dumme Bemerkung oder blöde Antwort auf meine Bitte um Hilfe bekommen. Dass es auch mir nicht immer angenehm ist, jemanden um

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Ob Stadtbummel oder Phoenix-See mit Rolli wird es zum Abenteuer – aber einem schönen!

einen Gefallen zu bitten, ist nicht zu bestreiten. Ich werde mir aber durch diese kleinen Unannehmlichkeiten nicht meine Lieblingsbeschäftigung, den Stadtbummel, verderben oder gar nehmen lassen.

…beginnen im Kopf

Das Problem ist jedoch: Diese inneren Barrieren beginnen weit vor dem Ereignis. Sie nehmen ihren Anfang zumeist mit einem Film, der sich ganz automatisch im Kopf abzuspulen beginnt. So freue ich mich beispielsweise richtig auf den Stadtbummel. Aber dann macht es klick und mir fällt schlagartig so etwas ein wie: Da ist doch eine Schwelle, wenn ich in die Bahn möchte, die kann ich alleine mit Rollstuhl nie und nimmer bewältigen. Ja, dann stehe ich da, an der Haltestelle, ganz hilflos. Oh, wird das peinlich sein. – Hallo! Das ist nicht peinlich, sondern einfach nicht zu ändern!
Was man nicht in den Beinen hat, sollte man eben im Kopf haben. Will sagen, statt die Schultern und die Ohren gleich mit hängen zu lassen und untätig an der Haltestelle zu stehen, oder gar ganz zu Hause zu bleiben, zeige ich Aktion. Ich stelle mich mit meinem Rollstuhl in die Tür der Bahn. Irgendjemand wird mir schon hineinhelfen. Bis jetzt hat es immer noch geklappt.

Der Klassiker der Peinlichkeiten

Der Klassiker unter den Peinlichkeiten ist das ungewollte Warten. Das kennt jede Rolli-Fahrerin: Man steht irgendwo, wie bestellt und nicht abgeholt. Beispielsweise vor dem Teeladen, wo ich gefühlte Stunden auf meinen Mann warten muss, da ich ihm wegen einer einzigen Stufe nicht folgen kann. Es ist schon ziemlich unangenehm, dort zu stehen, doch peinlich braucht es mir nicht sein. Schon eher müsste es der Verkäuferin, denn mir peinlich sein. Auf jeden Fall sollte es den Ladenbesitzer peinlich berühren, denn er könnte, wenn er denn wollte, an der ganzen Situation etwas ändern.

Ein Traum, der sich erfüllen lässt

Es ärgert mich, dass mir in fast allen Innenstädten eine Vielzahl von Geschäften durch eine oder gar mehrere Stufen den Zutritt verwehrt.
Ich bin nicht so vermessen, eine absolute Barrierefreiheit zu fordern, denn die Welt ist nun mal nicht barrierefrei und eine Behinderung zum Glück immer noch die Ausnahme. So braucht es keine Aufzüge, um auch als Gehbehinderte die Kirchturmspitze erreichen zu können. Doch jede einzelne Stufe an einem Eingang ist zu viel, könnte sie doch problemlos beseitigt werden und würde mir meinen Erkundungsradius enorm erweitern.
Dass mein Wunsch, Stufen abzubauen, scheinbar mehr oder weniger mühelos umzusetzen ist, zeigen die Innenstädte der Kurbäder. Hier werden selbst Gebäude mit zwei, drei oder mehr Stufen durch Rampen für alle zugänglich gemacht. Das heißt: ein Traum, der sich erfüllen lässt. Jetzt heißt es nur noch, die Barrieren in den Köpfen der Stadtväter, der Hauseigentümer, der Laden- und Restaurantbesitzer – und am wichtigsten – die im eigenen Kopf abzubauen.

*«Wie ich war, wäre wohl treffender»

Des Öfteren werde ich darauf hingewiesen, dass es wohl treffender wäre zu sagen, ich möchte so bleiben, wie ich war. Doch nein, das möchte ich nicht. Denn ich möchte so bleiben, wie ich jetzt bin und nicht, wie ich als Teenie war. Auch wenn ich da noch laufen konnte. Wobei ich natürlich nichts dagegen hätte, noch laufen zu können.